Was gibt es schon zu erzählen, wenn man mit dem MTB wie ein Vollidiot 40 mal im Kreis rumfährt?
Wenn man das zusammen mit 550 anderen Bekloppten im Rahmen eines 24h-MTB-Rennens macht?
So einiges.
Der erste Dämpfer war mein Outfit. Ich hatte eine Wette mit meiner Familie verloren:
Das NL-Nationalmannschafts-Outfit, vor Jahren mal für 50Euro aus einer Laune heraus gekauft. Grauselig orange. Aber die Niederlande hatte gegen Spanien gewonnen und Wette ist Wette. Ich bin ein Ehrenmann und begleiche meine Wettschulden. Wenigsten war die Craft-Hose top und es gab keine Sitzprobleme.
Auf der Habenseite war vor dem Rennen die perfekte Wetterprognose und die Lage des Stellplatzes direkt an der Strecke zu verzeichnen. Als Einzelfahrer ohne Betreuung ist das Gold wert. Das befreundete Zweierteam stand wunschgemäss direkt auf dem Stellplatz daneben. Obwohl man sich während dem Rennen immer nur kurz sah, ebenfalls ein wichtiger psychologischer Faktor.
Die Stimmung unter den ca. 550 Fahrern und deren zahlreicher Begleitung und Betreuung war ausgelassen. Es war alles vertreten. Semiprofessionelle Teams mit Sattelschlepper, Mechaniker, Physio etc., komplette Familien mit Campingwagen oder -bus und dann die paar armseligen Gestalten alleine und ohne Betreuung. Deshalb richtete ich möglichst gewissenhaft alles griffbereit her was ich während der 24h brauchen könnte. Ersatzkleider, Trinkflaschen mit Vitargo, Unmengen Sponser Riegel und Gels, Ersatzlaufräder, Werkzeug, Helm mit Helmlampe, Lenkerlampe, Windstopper, Armlinge, Beinlinge usw. usw.
Auch der Schlafplatz für die Nacht hinten im Auto inkl. Wecker (ja, auch sowas braucht man) wurde vorbereitet.
Dann war alles bereit. Zeit für eine Erkundung der 8km langen und (angeblich) 140hm "hohen" Strecke war nicht mehr. Ab zum Start nach Rammersweier. Nervöser Smalltalk mit dem Freund aus dem Zweierteam. Was würde uns erwartet? Wie würde die Nacht verlaufen?
Egal. Punkt 12:00 war Start und über die Einführungsrund tasteten wir uns vorsichtig in die Strecke.
Schön locker bleiben. Als 24h-Einzelfahrer durfte man sich nicht von den 2-er, 4-er und 8-er Teams zum heizen verleiten lassen. Schon garnicht von denen die nur 12h oder gar nur 6h vor sich hatten.
Das "erlesene" Häuflein der Einzelfahrer hatten als einzige Rückenummern. Meine rote 24h-Rückennummer signalisierte später zusammen mit dem orangen Outfit unmissverständlich: Achtung, bewegliches Hindernis, bitte vorsichtig überholen.
Nach 2-3 Runden war klar, die Strecke hatte es in sich. Die Trails waren zwar für alle fahrbar, aber unterschätzen durfte man die Wurzeltrail auf keinen Fall. Schon garnicht nachts. Die Schotterabfahrten waren ultraschnell und jenseits der schmalen Ideallinie gefährlich. Überholen nur mit äusserster Vorsicht.
Und überholt wurde viel. Die Geschwindigkeitsbandbreite zwischen den voll auf Angriff fahrenden 8-er Teams und der wesentlich verhaltener fahrenden 2er-Teams und Einzelfahrer war bergauf enorm. Dazu kamen einige fahrtechnisch leicht überforderte FahrerInnen in der 6h und 12h Kategorie.
Zum Glück war bergab im Flowtrail Überholverbot und ich war schnell genug um niemand aufzuhalten. In den Trails bergauf half die Rückennummer und die kollegiale Stimmung im Feld. Mit ganz wenigen Ausnahmen wurde nicht gedrängelt und man ging im Gegenzug auf Zuruf gerne zur Seite wo immer das möglich war. Nach 6h und später nach 12h waren die Übermotivierten sowieso weg. Die 24h-8er Teams waren zwar höllisch schnell, aber deutlich souveräner.
So ging es Runde um Runde durch den Nachmittag, nur kurz unterbrochen durch Auffüllen der Trinkflasche mit Apfelschorle oder Tausch gegen eine neue Vitargoflasche. Konstant um 25min war meine Rundenzeit. Man kannte langsam die Linie in den Trails und ich traute mich das erste mal in die schmale Schotterabfahrt mit Vollgas im dicksten Gang reinzubrettern und dann die Bremse nicht anzurühren. Es lief gut.
Gegen Abend mit sinkender Sonne stellte sich die typische, fast meditave Reduktion des Wahrnehmungshorizont auf die unmittelbaren Bedürfnisse und Ereignisse ein. Das nächste Streckenstück, wann in den Wiegetritt, mit wieviel Watt den langen Asphaltuphill hoch, wann Trinken, wann das nächste Gel? Das kannte ich von den Brevets und hier war es fast noch intensiver, da sich die Strecke immer wiederholte. In diesem Zustand war das aber garnicht langweilig.
Um 21:00 war es Zeit für die Nacht umzustellen, das Licht zu montieren und warme Kleidung anzuziehen. Ich kombinierte das mit einer kurzen 30min Schlafpause in der ich tatsächlich kurz einnickte. Dieser Stop war im Nachhinein gesehen suboptimal. Zu kurz geschlafen, zu warme Kleidung angezogen. Um ca. 22:00 gings weiter.
Ich wollte 10-12Runden fahren und dann wieder bis zum Tageslicht pausieren. Daraus wurde aber nix. Am Anfang schwitze ich mich tropfnass und begann dann bald in den Abfahrten zu frieren. Das wurde immer schlimmer je mehr es abkühlte. Alles tat weh. Zusätzlich fuhr ich in einen Hungerast. Nix mehr mit meditativer Rundendreherei. Reine, pure Quäerei. In der siebten Nachtrunde, so um 1:30, war fertig lustig. Ich lief Gefahr im Downhill wild zitternd und über Kreuz guckend in einen Baum zu fahren. Hätte ich länger Pause gemacht, die warme Kleidung in zwei Stufen angezogen und öfter gegessen hätte ich die 10Runde geschafft. Hätte, hätte, hätte ... egal ... scheissegal. Einmal am Auto schaffte ich es noch im Wachkoma trockene Kleidung anzuziehen, die Jacke überzustreifen und mich unter die Decken zu kuscheln. Dann noch das Gesuche nach den Ohrstöpseln - viel zu laut zum Einschlafen - die hatte ich vergessen bereit zu legen. Dann war ich weg. Um 5:00 klingelte der Wecker. Es war noch nicht hell genug und mir schauderte vor der Kälte. Nach weiteren 15min ging es dann raus Warmzittern, Essen, Trinken, hinter die Büsche. Die Pause hatte wirklich gut getan. Die Lebensgeister waren wieder da.
Noch steif und kalt, aber warm und trocken eingepackt ging es um 5:30 wieder los.
Mir war klar, dass ich durch die lange Pause ein paar Plätze verloren hatte. Aber mein Ziel 18h im Sattel und nicht Letzer werden waren weiterhin möglich. Nach der zweiten Runde die Jacke aus und später schrittweise der Rest. Das hiess zweimal kurz stoppen zum Klamotten abladen. Und konsequent jede Runde ein Riegel oder Gel und genug Cola trinken. Kein Hungerast sollte mich mehr ausbremsen. Waren die letzten Rundenzeiten in der Nacht deutlich jenseits der 30min gewesen, ging es jetzt wieder viel besser. 27er und 28er Zeiten. Der Flow in den Trails war wieder da, wurde immer besser. Der Rhythmus in den Anstiegen, der Wechsel aus schmerzhafter Belastung und kühlender Erholung in den Abfahrten. Zen - oder die Kunst des Ultracycling. Und immer wieder überhole andere Einzelfahrer und kompensiere zumindest teilweise die überlange Pause. Jetzt nur nicht übermütig werden und überdrehen. Es sind noch 4h.
Bei 20h9min ging es durch die "Feedzone". Wenn ich die 9min aufhole bekomme ich noch eine Extrarunde. Also konstant weiter. 21h29min30sec, na also noch 5 Runden plus Extrarunde.
Im Schlussdrittel der Flowtrailabfahrt dann der Schock. In einer simplen Linkskurve mit mittlerem Tempo wischt plötzlich das Vorderrad weg. Keine Ahnung warum. Unverletzt raffe ich mich auf, Rad aus der Spur gewuchtet, warten bis frei ist, weiterfahren ... nix da, vorne ist platt. Schlagartig wird mir der Grund des Sturzes klar. Schlagartiger Luftverlust am Tubeless durch Querbelastung des Reifens an einer Wurzel oder einer Kante. Platten durch den Sturz oder schleichender Platten kam nicht in Frage. Einserseits war das Bike ohne Einschlag gelandet und anderseits hätte ich einen Schleicher in dem Trail schon längst mit Durchschlägen zu spüren bekommen.
Das Riesenglück im Unglück: Ich hatte es nur 400m zum Auto und dort lagen Ersatzlaufräder. Also im Schweinsgalopp den restlichen Trail bis zum nächsten Austieg runter, immer darauf achten, dass man rechtzeitig zur Seite geht wenn Kollegen angebrettert kommen, raus auf den Weg und am Auto das Ersatzrad montiert. Das hat einen Schlauf drin. Ein beruhigendes Gefühl. Kurz darauf bei der Zieldurchfahrt bin ich wieder 4min hinten. Das Ganze hat mich nur 7-8min gekostet. Also los, das schaffst du noch.
Nach einer ersten unsicheren Trailabfahrt nach dem Sturz war das Vertrauen ins Material schnell wieder da. Und nun begann der schönste Teil überhaupt. Getragen von den immer zahlreicheren Zuschauern am Streckenrand fuhr ich, wie wohl viele anderen, in Trance meine letzten Runden. Auf der Extrarunde grüsse ich jeden Streckenposten. Stellvertretend für alle Helfer ein kleines Dankeschön.
Das letzte mal die Rumpelwiesenabfahrt runter, durch die Schikane, Zieldurchfahrt, Fertig.
Schon fertig? Schade. Jetzt könnte ich noch 2 Runden.
Aber kaum stehe ich, bin ich froh doch heilfroh dass es nun vorbei ist. 24h, 40Runden, 313km, 8800hm, Rang 12 von 20 24h-Einzelstarter. Als alter Sack, vermutlich der Älteste der Beknackten. Ich bin zufrieden, sehr zufrieden sogar.
Mit den Freunden geht es dann noch ins Festzelt auf ein Cola. Ja Cola, obwohl ich schon mindestens 4Liter von dem Zeugs intus habe. Kein alkoholfreies Weizenbier weit und breit. Da hat der Veranstalter versagt.
Abbauen, einpacken, Verabschiedung und auf dem Heimweg noch ein bisschen Smalltalk bei ein paar Cheesburgern an eine McDoof an der Autobahn.
Dann mache ich doch noch eine Stunde Schlafpause auf einem Parkplatz. Sicher ist sicher.
An der Grenze werde ich angehalten. Nein, ich führe keine Waren ein. Warum ich so zerfleddert und müde aussehe. 24h-MTB-Rennen, gerade eine Stunde geschlafen, keine Zeit zum Schmuggeln. Breit grinsende Grenzer winken mich weiter. Müde und endlos zufrieden rolle ich im Seniorentempo nach Hause.
Schön war's. Aber niemals wieder. Ganz sicher nicht.
Geht auch garnicht. In 2 Wochen geht es ja 600km auf dem Rennrad durch die Schweiz, dann die Trophy und dann der Angstgegner, das Platin Alpenbrevet.
Aber nächstes Jahr ... würde schon reinpassen in die Vorbereitung ...