Dienstag, 20. Mai 2014

SCM 400km Brevet, Ittigen, Schweiz



Sechs Tag nach dem 400km Vogesenbrevet ab Freiburg steht das 400km SCM Brevet am Freitag 16.5.2014 auf dem Programm (http://www.swisscyclingmarathon.ch/brevet/index.php)

Schon wieder 400km? Bin ich bekloppt? Offensichtlich. Aber das Vogesenbrevet hatte ich erstaunlich gut verdaut. Also fahre ich um 13:00 auf den Rasthof Grauholz an der A1 nördlich von Bern. Ein idealer Startort mit Hotel, Restaurant, jeder Menge Parkplätzen. Im Rastättenrestaurant findet das Prä-Race Mittagessen statt. Für mich ein Muss um die Organisatoren kennenzulernen. Schliesslich ist das mein erstes Brevet mit dem SCM. Es gibt auch Gelegenheit einige Fahrer zu beschnuppern. Vom leicht fanatischen Leistungsfreak bis zu den lockeren Randonneuren ist alles vertreten.

Kurz vor dem Start erfolgt die Ausgabe der elektronischen Badges für die Kontrollpunkte. Welcher Luxus. Kein Nummern ablesen von Stromkästen und Notrufsäulen, kein Stempel erfragen. Aber auch das Finden der Badgeboxen ist nicht immer trivial. Zumindest, wenn man das Briefing verpasst und sich die Fotos der Standorte nicht genau erklären lässt. Ich frage dem Chef Adi ein Loch in den Bauch. Dann weiss ich Bescheid. Wie ich später noch feststellen sollte hätten andere auch aufpassen sollen.

Pünktlich im 15:00 geht's los. Start Badgen und locker in Richtung Berner Oberland. Richtung W. Das hiess gleich am Anfang ein Vorgeschmack auf das Hauptwetterthema des Brevet: die starke Bise, NO Wind im offenen Gelände mit Stärke 4. Später noch stärker. Ist es kein Regen dann halt der Wind. Irgendwas ist immer.

Gleich am Anfang geht es hoch zum höchsten Punkt, dem ersten Kontrollpunkt bei km 33. Auch hier ist es weniger die Steigung als der Wind der einem zu schaffen macht. Böig und hinterhältig fällt er einen nach jedem schützenden Waldstück oder Häuserzeile an. Eine schlimme Vorahnung nimmt Gestalt an. Das ungeschützte Stück später in der Nacht vom Genfersee hoch nach Biel könnte heftig werden.

Aber zunächst  schon wieder runter an Thun vorbei. Auch die Abfahrt hat es windmässig in sich. Ab Thun in Richtung Frybourg dann dichter und nerviger Berufsverkehr. Das Stück macht wenig Spass. Um 19:00 ist Frybourg erreicht und der Verkehr lässt. Nun geht im wahrsten Sinne in Windeseile Richtung SW. Die Starkbise im Rücken ergab das auf den 50km von Frybourg bis Vevey am Genfersee einen Schnitt über 30kmh. Trotz angezogener Handbremse um Kräfte zu sparen.

Kaum unten im letzten Tageslicht in Vevey angekommen überholt mich eine Vierergruppe. Ich stosse dazu und es geht weiter im Höllentempo das urban dicht besiedelte Ufer des Genfersees entlang. Die Handbremse ist längst gelöst und in der Führung muss ich ganz schön reintreten um meinen Teil zum hohen Schnitt beizutragen. Der liegt trotz Unmengen Ampeln und Massen von Fussgängern in Ausgehstimmung schon wieder über 30kmh.

Am Kontroll- und Verpflegungspunkt in Tolochenaz bei Morges entscheide ich erst mal Pause zu machen. Eine andere Gruppe wird sich schon wieder finden. Das Vereinsheim des Fussballclubs ist noch offen und es sitzen dort noch einige einheimische Jugendliche und andere Fahrer dort drinnen im Warmen. Ich lehne mein Rad an die Wand und geselle mich dazu. Dann mache ich einen grossen Fehler. Ich schlendere die 30m rüber zur Verpflegung ohne mein Rad. Erst später hole ich es nach um die Flaschen aufzufüllen. Als alles für den Kampf mit dem Gegenwind bereit ist und die obligate Biopause absolviert ist der grosse Schock: Das GPS ist weg - geklaut. Von selbst fällt das Teil niemals aus der Halterung. Ausserdem habe ich es noch mit der Handschlaufe am Vorbau gesichert. Und Schlaufe hängt noch einsam am Rad - abgerissen. Komischerweise ist das gleich teure und wesentlich einfacher zu entfernende Garmin Edge 500 noch an seinem Platz.
Alles Schimpfen und Suchen hilft nichts. Ich kann nicht mehr Navigieren. Der erste Gedanke ist Aufgeben und mit dem Versorgungsposten 4h später mit dem Auto zurückfahren. Aber da ist kein Platz drin. Also bettle ich einige Fahrer an. Aus den ca. 10 anwesenden Fahrern erklärt sich schliesslich eine Dreiergruppe Deutscher bereit mich mitzunehmen.

Also fahre ich endlich nach einer Stunde mit dem ganzen Trupp weiter. Verzweifelt versuche ich mir die drei Fahrer im Dunkeln einzuprägen. Was für Schuhe, Trikot- oder Windstopperfarben. Bei dem Durcheinander aus wechselnden Führungen, Gruppen und Einzelfahrern im Dunkeln, Sturm und der anfänglich dichten Folge aus Abzweigungen verdammt schwer. Wenn ich die drei verliere bin ich im Arsch. Sie kennen mich nicht. Ich bin verantwortlich dranzu bleiben. Und nur Lutschen geht auch nicht. Natürlich muss ich auch raus in den Mörderwind. Mehr als einmal hängt sich ein "fremder" Fahrer hinter mich und ziehe mit dem weg ohne zu merken, dass die Drei weiter hinten sind. Man sieht beim Umdrehen ja nur einen Scheinwerfer. Warten, Suchen - ah da sind sie ja. Mal zwei, mal alle drei.

Nach einer Stunde sind wir alleine gegen den Wind von rechts vorne am ankämpfen und arbeiten uns mühsamst nach Norden in Richtung Orbe südwestlich von Yverdon. Die Böen schmeissen einen von einer Welle in die nächste. Aber das geht allen so. Windschatten ist nur stark nach links versetzt etwas spürbar. Aber Vorsicht, es beginnt nun die Zeit der Besoffenen, die mit oder ohne Aufriss nach Hause brettern. Es findet also maximal einer Windschatten. Der Dritten, der schon mitten auf der Strasse fahren müsste, würde innerhalb kurzer Zeit von einem besoffenen Welschen auf den Kühler genommen werden. Und davon gibt es einige. Nicht nur in den Autos, die erst nach zwei weiteren Stunden weniger werden. Sondern auch in den unsäglichen Käffern durch die wir kommen. Da werden wir mehrmals von Suffköpfen angepöbelt, Glasscherben zerdepperter Weinflaschen auf der Strasse drohen mit Plattfüssen. Eventuell liegt es an meinem Frust wegen dem GPS und dem elenden Wind, aber die Gegend kommt sicherlich nicht auf meine Favoritenliste.

Da ich keine Ahnung habe wo wir gerade sind, merke ich den Schwenk der Strecke nach NO nur daran, dass nun der Wind genau von vorne kommt. Davon haben immerhin die drei hinten Fahrenden etwas. Der vorne hat immer noch Arschkarte. So geht es an Yverdon vorbei den Neuenburger See entlang Neuchatel. Entlang dem Neunburgersee führe ich lange und arbeite meine Mitfahrgelegenheit ab. Mir ist bewusst, dass die anderen mich testen. Pause in Neuchatel, heisst es. Ich sehe ein Schild: Neuchatel 23km. Das schaffe ich nicht. 15km vor Neuchatel halten die anderen an einem Getränkeautomaten. Ich haben nichts dagegen. Ich bin platt. Das Cola ist eine Gottesgabe. Zum ersten Mal nach 3:00h gemeinsamem Fahren können wir uns in der Pause etwas beschnuppern. Richtig nette Typen. Zwei Pfälzer und ein Heidelberger. Eine gut gelaunte und eingespielte Truppe.

Zu Beginn der Weiterfahrt gehe ich guten Gewissens erst mal in den Windschatten. Auf dem Weg Richtung Biel am Bielersee entlang lässt der Wind etwas nach. Aber es wird zäh. Die Morgendämmerung baut uns wieder auf. An der Kontrollstelle in Biel wird nochmals kurz Pause gemacht. Ein strahlender Tag hat begonnen. Aber es ist kalt und wir brauchen dringend einen Kaffee und Sandwiches. Als wir schliesslich nach 15 1/2h um 6:30 wieder in Ittigen vor dem Hotel Grauholz ankommen frieren wir zwar bei 4 Grad, aber die Laune ist blendend. Die 7h gemeinsamer Kampf gegen den Wind war hart, aber jetzt ist das Schlimmste geschafft. Es gibt Kaffee aus dem Hotel. Ich vernichte mehrere Sandwiches mit Käse, Schinken und Thunfisch. Adi, the Boss, gibt Tipps. Beim Auto Ballast abwerfen und Trinken und Essen nachfüllen. Was will man mehr.
Ins Auto liegen und ein Nickerchen machen? Nix da.

Nach einer halben Stunde geht es auf die 120km der Schlussschlaufe um den Thunersee. Ich bin schon müde und die Muskeln schmerzen, aber nichts kritisches. Es macht Spass. Nur etwas kürzer könnte die Schlussschlaufe schon sein. Der vormittägliche Einkaufsverkehr in den Ortschaften, vor allem in Thun, erfordert nochmal volle Konzentration. Sonntagsfahrer und Hausfrauen, wehe wenn sie losgelassen. Wir fahren mit dem Messer zwischen den Zähnen.

Das Panorama der Berner Alpen ist grandios. Der Himmel wolkenlos. Auf den Nebenstrassen und den Thunersee entlang geniessen wir die Gegend. Kurz nach dem Wendepunkt Interlaken kommt der letzte Kontrollpunkt. Nun geht es Richtung Ziel. Das Tempo ist deutlich langsamer geworden. Wir sind alle redlich müde. An den Steigungen pushen wir uns aber gegenseitig. Da geht doch noch was. Nochmal die Hektik durch Thun und dann zählt Timo die letzten zehn Kilometer runter. Endspurt die Rampe rauf zum Grauholz.

Geschafft.

Epilog:

Nach dem Abschied von den Gruppengenossen, zwei Stunden Schlaf im Auto plus zwei Energy Drinks geht es heim. Auf der Heimfahrt setzt sich bei mir der Gedanke fest, dass ich doch das 600er Ende Juni fahren könnte. Schliesslich habe ich beide 400er gut überstanden.

Gestern habe ich mich angemeldet.

Mit Schlafpause nach 380km und Hotelübernachtung nach dem Zieleinlauf. Ein Klacks. Lächerlich.
 Ein Tag vorher werde ich mich wieder fragen welcher Bekloppte auf die Idee kam. Aber ich glaube der Brevetvirus hat mich gepackt ...

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